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Gustavs Glückstag

Sonntag, 10. Oktober 2010

Neben Gustavs Schule steht ein kleiner Kiosk, wo sich die Kinder manchmal etwas Süßes zum Naschen holen oder irgendwelchen Krimskrams kaufen.

Weil Gustav heute morgen noch ein paar Minuten Zeit hat, bis die Schule beginnt, geht er zum Kiosk hinüber.

„Ein Päckchen Sammelkarten, bitte, Frau Lingling!“

Frau Lingling, die Kioskbetreiberin, nimmt eine Päckchen Karten aus einer Box und schiebt es zu Gustav rüber. „30 Cent!“, sagt sie und seufzt. Frau Lingling seufzt oft, ohne dass Gustav bislang herausgekriegt hätte, weswegen.

Gustav hat die drei 10-Cent-Münzen schon abgezählt. Aber als er das Geld auf den Tresen legen will, rutschen ihm die Geldstücke durch die Finger und fallen zu Boden. Als er sich bückt, sie wieder aufzuheben, staunt er nicht schlecht: Die Münzen liegen nicht flach auf der Erde, sondern stehen, alle drei, aufrecht aufeinander, Kante auf Kante! Gustav hätte nicht für möglich gehalten, dass das überhaupt geht. „So ein Zufall!“, denkt er sich.

Da entfährt Frau Lingling ein spitzer Schrei. „Du Sohn des Glücks!“, kreischt sie. „Dir ist die legendäre Geldpyramide des Tschung-Tse zuteil geworden! Heute ist dein Glückstag, ehrwürdiger Jüngling! Alles, was du heute unternimmst, führt zu erhabenem Gelingen!“

Gustav wundert sich. Nicht so sehr darüber, was Frau Lingling sagt, sondern vielmehr, dass sie überhaupt so viel reden kann.

Gustav reicht die drei Münzen über den Tresen. Frau Lingling lächelt.

„Dann mal los, großer Glücksdrache!“, sagt sie und wirft das Geld in die Kasse.

Gustav ist schon einige Schritte weiter gegangen, als er hört, wie Frau Lingling ihm noch etwas zuruft. „Hallo? Der große Glücksdrache hat seine Sammelkarten vergessen!“

Auf dem Schulhof werden schon fleißig Karten getauscht. Sammelkarten tauschen ist zur Zeit der absolute Hit. Pia, die gesehen hat, wie Gustav zum Kiosk ging, fordert ihn gleich zum Kartenduell heraus. Dazu sagt man sich abwechselnd die Punkte, die die eigenen Figuren bei verschiedenen Eigenschaft besitzen. Wer die höhere Punktzahl hat, bekommt vom Gegner die Karte. Normalerweise ist das Pia, die sich verteufelt gut auskennt bei diesem Spiel. Aber heute ist alles anders.

„Seht euch das an, Leute!“, ruft Pia und schnappt nach Luft. „Gustav hat die KARTE, DIE ALLE KARTEN EINSACKT!“

Die Kinder strömen zusammen und drängeln sich um Gustav. Tatsächlich, in dem Päckchen, das er eben erst gekauft hat, war die legendäre KARTE, DIE ALLE KARTEN EINSACKT! Die Kinder heulen vor Wut und Enttäuschung. Denn wer die KARTE, DIE ALLE KARTEN EINSACKT besitzt, darf von den Mitspielern sämtliche Karten, die sie dabei haben, einfordern. Noch nie hatte auf der ganzen Welt ein Kind das Glück, diese Karte in seinem Päckchen zu finden. Viele dachten bereits, die KARTE, DIE ALLE KARTEN EINSACKT, gäbe es in Wirklichkeit gar nicht. Aber hier ist sie nun. Und sie gehört Gustav!

Und weil die Kinder ausgerechnet heute alle ihre kompletten Sammlungen dabei haben, weil sie sie in der großen Pause vergleichen wollten, türmen sich bald hohe Stapel von Sammelkarten um Gustav. Gustav weiß gar nicht, wie er seine frisch erworbenden Schätze transportieren soll.

Attila grinst schadenfroh. „Ätsch, jetzt besitzt du zwar alle unsere Karten, aber du kannst sie nicht mitnehmen! So ein Pech aber auch!“

Da wandelt plötzlich Hausmeister Göppinger mit geschlossenen Augen über den Schulhof. Ein paar Schritte vor den Kindern bleibt er stehen und öffnet die Augen. Als erstes sieht er Gustav zwischen seinen Kartenstapeln. „Du da! Ja, du mit den Karten!“, sagt er und zeigt feierlich auf Gustav. „Dich hab ich zuerst gesehen, darum bin ich heute laut Gesetzt bis zum Sonnenuntergang dein Sklave!“

„Häh?“, fragt Gustav.

Frau Meier-Greulich, seine Klassenlehrerin, die eben mit ihrer dicken Tasche durchs Schultor geeilt kommt, hat alles gesehen.

„Na, so ein Zufall! Wisst ihr nicht, was heute für ein Tag ist, Kinder?“, ruft sie und tritt neben Herrn Göppinger. „Heute ist Sankt-Domus-Tag, der höchste Feiertag, den es für Hausmeister gibt. Heute Nacht feiern alle Hausmeister dieser Erde ein Dankesfest dafür, dass ihnen so viel Macht über die Menschen, die in Häusern wohnen, verliehen wurde. Aber damit sie trotz all ihrer Macht demütig und bescheiden bleiben, müssen sie am Sankt-Domus-Tag bis zum Sonnenuntergang einem normalen Menschen als Sklave dienen. Herr Göppinger tut nur, was der geheime Geheimbund der Hausmeister von ihm verlangt!“

„Super!“, freut sich Gustav. „Dann kann er ja meine Sammelkarten tragen!“

„Selbstverständlich, Herr!“, murmelt Herr Göppinger unterwürfig, verpackt Gustavs Ausbeute in einem großen Schrankkoffer und folgt ihm ins Klassenzimmer.

Im Unterricht gefällt es Gustav heute noch besser, als sonst, denn sein Sklave putzt ihm nebenbei die Schuhe, fächelt ihm Luft zu, blättert ihm die Seiten im Buch um und kratzt ihm den Rücken. Frau Meier-Greulich ist davon etwas genervt, kann aber nichts machen: So ist das nun mal, wenn ein Schüler einen Sklaven besitzt!

In der nächsten Stunde bekommt Gustav allerdings einen Riesenschreck. Den Mathe-Test, den hatte er ganz vergessen! Nicht einmal geübt hat er zuhause! Als Frau Meier-Greulich die Aufgabenblätter verteilt, merkt Gustav, dass er keine Ahnung hat, wie er diese kniffligen Rechnungen lösen soll! Wie betäubt hockt er vor dem weißen Blatt. Das wird eine glatte Sechs, denkt er. Von wegen Glückstag! Auch Attila scheint dasselbe zu denken, denn er schaut hämisch zu Gustav rüber. Um ihn zu ärgern, zeigt er Gustav sein eigenes, voll geschriebenes Blatt. „Lass doch deinen Sklaven für dich rechnen, höhö!“, flüstert er. Gustav ist den Tränen nahe.

Doch was ist das? Ein plötzlicher Windstoß pustet das Fenster auf und ein Blatt Papier wird von irgendwoher direkt auf  Gustavs Tisch geweht. Noch erstaunlicher ist, dass es ein vollständig ausgefülltes Aufgabenblatt ist. Von einem Schüler der Klasse, die im Stockwerk über ihnen ebenfalls gerade eine Mathearbeit schreibt. Mit denselben Aufgaben! Der Name des Schülers steht auch da: Bazon Bläulich, das Mathe-Genie aus der 3c! Der Windstoß muss ihm die Arbeit vom Tisch gerissen und sie zu Gustav getragen haben! Gustav kann sein Glück nicht fassen! Ein Geschenk des Himmels! Hastig streicht er den Namen Bazon Bläulich ganz dick durch und schreibt seinen eigenen Namen drüber. Perfekt! Jetzt muss er nur noch sein eigens, noch völlig leeres Aufgabenblatt verschwinden lassen, aber das ist einfach: als folgsamer Sklave verschlingt Herr Göppinger leise kauend das Beweisstück.

Attila, der alles gesehen hat, wird bleich. Er will der Lehrerin alles petzen, aber vor lauter Neid versagt ihm die Stimme: „Nggh…. Arrbgt… Gnnnhn… frxx…“, stammelt er. Und Gustav? Der gibt ganz cool sein Aufgabenblatt ab und ist sich sicher, dass er eine Eins mit vielen Sternchen bekommen wird! Ohne sich anstrengen zu müssen!

Zum ersten Mal fragt sich Gustav, ob das alles nur Zufälle sind, oder ob dieses unverschämte Glück mit Frau Linglings Prophezeiung zu tun hat.

Da klopft es an der Tür. Als Frau Meier-Greulich „Herein!“ sagt, treten vornehme Herrschaften ins Klassenzimmer.

„Gibt es in dieser Klasse einen gewissen Gustav?“, fragt ein besonders vornehm gekleideter Herr.

Gustav sagt ja, obwohl ihm die Situation etwas unheimlich erscheint. Außerdem fragt er sich, wieso die Herrschaften auf einmal vor ihm in die Knie gehen.

„Unser neuer König!“, stammeln sie. „Dieser holde Knabe ist unser neuer Monarch!“ Dann legt der besonders vornehm gekleidete Herr Gustav einen Königsmantel aus Hermelinpelzen um und setzt ihm feierlich eine goldene Krone aufs Haupt.

„Gustav, du bist der einzige Verwandte unseres verstorbenen Königs Gusto von Gustonien. Darum wirst du nun als sein Nachfolger den Thron besteigen und über das Volk der Gustonen herrschen!“

„Gibt‘s bei euch auch Salzgebäck?“, fragt Gustav vorsichtig und rückt sich die Krone zurecht. „Ich liebe Salzgebäck!“

Der vornehme Herr verbeugt sich. „Majestät erlauben mir mitzuteilen, dass Gustonien führend ist in der Welt, wenn es um Salzgebäck-Erzeugung geht!“

Frau Meier-Greulich, die als Lehrerin bekanntlich alles weiß, kann das nur bestätigen. „Gustonien ist weltweit führend in der Herstellung feiner Salzgebäcke. Dein neuer Untertan sagt die Wahrheit, Gustav!“

„Dann nehme ich den Job an!“, kräht Gustav und wirft vor lauter Freude seine Krone in die Luft.

Die Kinder und die Lehrerin brechen in lauten Jubel aus. Dass ein Mitschüler mitten im Unterricht zum König ernannt wird, kommt schließlich nicht so oft vor. Nur Attila grummelt etwas vom Ungerechtigkeit und Glückspilz und dass Gustav bestimmt noch sein blaues Wunder erleben wird.

Da stürmen Leute mit Kameras und Mikrofonen ins Klassenzimmer. Ein großer Kerl mit blonder Wuschelfrisur, den Gustav aus dem Fernsehen kennt, steckt ihm dicke Bündel Geldscheine in den Hermelinmantel. „Wir sind vom Fernsehen und kaufen die Exklusivrechte an der Berichterstattung über deine Thronbesteigung, Majestät Gustav!“, sagt er. „Falls das Geld hier nicht reichen sollte, kein Problem: Wir haben unten im Wagen noch viel, viel, viel mehr! Denn wir vom Fernsehen haben sehr, sehr, sehr, sehr, sehr…“, er kratzt sich am Hals, „sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel Geld!“

Gustav kann sein Glück nicht fassen. Er strahlt übers Gesicht, dass ihm fast die Mundwinkel einreissen.

„Ich lade euch alle ein nach Gustonien!“, ruft er der Klasse und seiner Lehrerin zu. „Wir feiern gemeinsam meine Thronbesteigung und ich schenke jedem einen Sack voll Diamanten!“

Dann wendet er sich an den vornehmen Herrn. „Wir haben doch so viele Diamanten, oder?“, fragt er besorgt.

„In rauen Mengen, Majestät!“, bestätigt dieser. „Wir sind noch reicher, als das Fernsehen! Eure Schatzkammern quellen über, wir wissen gar nicht, wohin mit dem ganzen Plunder!“

Alle brechen erneut in Jubel aus. Selbst Attila. Gustavs Glück findet er auf einmal doch gar nicht so übel.

Gustav lässt gleich zwanzig Luxuslimousinen anfordern, die sie alle nach Gustonien bringen sollen.

Als er in seine extra-lange Königslimousine einsteigt, fällt ihm etwas aus der Tasche. Der vornehme Herr, der Gustav die Tür aufhält, bückt sich. „Was ist denn das, Majestät?“, fragt er.

Gustav erkennt die Karte. „Ach, das ist nur die KARTE, DIE ALLE KARTEN EINSACKT! Damit hab ich den anderen Kindern ihre Karten abgeluchst, hehehe!“

Der vornehme Herr schaut kritisch. „Aber Majestät, dies ist doch nicht die KARTE, DIE ALLE KARTEN EINSACKT! Ich weiß das, denn ich bin selbst ein leidenschaftlicher Sammler. Seht doch einmal genau hin! Das ist, ganz im Gegenteil, die KARTE, DIE VON ALLEN KARTEN EINGESACKT WIRD! Die absolute Looser-Karte des Spiels! Die Karte, die wirklich auch noch gegen die letzte Lusche verliert!“

Tatsächlich! Jetzt sehen es die anderen Kinder auch. Wie konnten sie sich nur so irren?

„Betrug! Rück unsere Karten wieder raus, Majestät!“, brüllen sie.

Gustav findet das gar nicht gut. „Sklave?“, ruft er, „Sklave, bring den Schrankkoffer mit den Karten in Sicherheit!“

Doch anstatt zu gehorchen, starrt Herr Göppinger gerade angestrengt seinen Taschenkalender an. „Verflixt!“, entfährt es ihm. „Heute ist ja gar nicht Sankt-Domus-Tag! Der ist ja erst in einem Monat!“

Er wirft den Schrankkoffer auf den Boden und rennt hüpfend und singend davon: „Ich bin frei!“, jubelt er. „Ich bin frei! Ich bin frei!“

Die Kinder fallen über den Koffer her und krallen sich ihre Karten.

Da kommt ein Junge auf Gustav zu. Gustav kennt ihn, es ist Bazon Bläulich, das Mathe-Genie aus der 3c! Bazon fuchtelt mit seiner Klassenarbeit, über die Gustav seinen Namen geschrieben hat, vor Gustavs Nase herum. „Gustav? Du Betrüger! Ich habe deiner Lehrerin alles erklärt und sie hat gesagt, dass du eine Sechs mit vielen Sternchen bekommst! Geschieht dir recht, har har har!““

Gustav muss sich erst einmal setzen. Das läuft ja gerade nicht so ganz toll, denkt er. Aber Schwamm drüber: Er ist immer noch König eines reichen,  Salzgebäck herstellenden, Landes. Aber von wegen:

„Katastrophe!“, ruft einer der feinen gustonischen Herrschaften, der gerade mit seinem Händi telefoniert. „Staatsstreich in Gustonien! Das Königsschloss wurde vom Volk erobert! Die Schatzkammern sind geplündert! König Gustav ist abgesetzt! Die Leute wollen jetzt mehr Demokratie wagen!“

„Was heißt denn das?“, fragt Gustav.

„Das heißt, dass du die längste Zeit König gewesen bist!“, sagt der besonders vornehme Herr, reisst Gustav den Mantel von den Schultern und nimmt ihm die krone ab.

Die Fernsehleute haben alles beobachtet.

„Was? Keine Thronbesteigung? Wenn das so ist, nehmen wir das viele, viele, viele, viele, viele, viele Geld wieder mit!“, sagt der blonde Wuschel vom Fernsehen und steckt sich Gustavs Geldscheinbündel in die eigenen Taschen.

„Sind wir jetzt nicht mehr nach Gustonien eingeladen? Kriegen wir jetzt keine Diamanten mehr?“, fragt Attila verwirrt. Gustav antwortet nicht, er sitzt nur wie betäubt auf dem geplünderten Schrankkoffer.

Die Luxuslimousinen fahren wieder ab. Einer der Fahrer hat Gustav eine saftige Rechnung überreicht. „Hier, mein Freund! Man ruft unsere teuren Luxusautos nicht einfach so zum Spaß! Dafür muss Papa ganz schön blechen, höhöhö!“

Frau Meier-Greulich schaut auf die Uhr. „Oh, schon wieder Schluss! Wie schnell doch so ein ganz normaler Schultag immer vergeht!“

Gustav schlurft rüber zum Kiosk. Jetzt braucht er erst einmal eine doppelte Holunderlimo. Frau Lingling schiebt ihm stumm sein Glas rüber.

„Hast du nicht gesagt, heute sei mein Glückstag, Frau Kioskfrau?“, sagt Gustav.

Frau Lingling lacht. Dann greift sie in die Kasse und holt drei Münzen zum Vorschein. Es sind die drei Zehner, mit denen Gustav vorhin bezahlt hat. Die drei Zehner, die senkrecht aufeinander stehen blieben und Gustavs Glückstag verkündeten.

„Wenn der ehrenwerte Grundschüler mir bitte seine Aufmerksamkeit schenken könnte?“, sagt Frau Lingling und wirft die Münzen in die Höhe. Als sie auf den Tresen klappern, werden sie wie von Geisterhand zueinander gezogen und bleiben wieder senkrecht aufeinander getürmt stehen.

„Die tun das ja andauernd!“, sagt Gustav aufgeregt. „Wie denn das?“

„Zaubertrick-Münzen!“, sagt Frau Lingling. „Sind magnetisch! Tja. alles hat eine einfache, wissenschaftliche Erklärung! Heute war gar nicht Glückstag!“

„Das hab ich gemerkt!“, seufzt Gustav.

Dann sieht er aber auch das Gute daran: Hat er nicht dafür eine tolle Geschichte erlebt? Die Eltern werden nicht schlecht staunen, wenn er ihnen heute abend alle erzählt. Und dann wird der Papa bestimmt auch die Rechnung für die Luxuslimousinen gerne bezahlen. Aus Dankbarkeit dafür, dass Gustav weiterhin bei ihnen wohnen bleibt. Statt in einem Königspalast in Gustonien. Wo liegt das eigentlich, Gustonien?

Gustavs Stern

Sonntag, 01. August 2010

Hier kannst Du den Anfang von „Gustavs Stern“ lesen. Die ganze Geschichte und die drei Geschichten „Der eiserne Gustav“, „Gustav und der Dschin“ und „Gustav und der Ponyhof“ findest Du in dem Buch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“.

Heute ist ein besonderer Tag, denn heute darf Gustav gleich zwei mal in die Schule. Wie verabredet, treffen sich am Abend die Kinder mit Frau Meier-Greulich, ihrer Lehrerin, im Schulhof. Um diese Tageszeit sieht hier alles ganz anders aus. Einsam und dunkel liegt die Schule da. Das Eichhörnchen, das in der großen Kastanie beim Schultor wohnt, schläft schon. Auch die Maulwürfe unter der Schulwiese haben sich verdrückt. Nur in der Hausmeisterwohnung brennt noch Licht. Ganz leise kann man von dort Herrn Göppinger und seine Pausen-Posaune hören. Er spielt, wie immer, sein Lieblingsstück „Ich bin ein armer, einsamer Hausmeister, weit weg von Zuhause“. „Sind jetzt alle da?“, fragt Frau Meier-Greulich. „Sehr gut! Folgt mir!“ Auf der Rückseite des Schulgebäudes befindet sich ein schmaler Turm. Über eine Wendeltreppe im Inneren gelangt man nach oben zu einer Kuppel, in der sich ein gewaltiges Fernrohr befindet. Ja, ganz richtig: Bei der Kuppel handelt es sich um die Sternwarte der Schule! „Nicht drängeln!“, ermahnt Frau Meier-Greulich die Kinder, die sich um das Fernrohr scharen. „Jeder und jede darf mal ein Weilchen durchs Okular sehen!“ Frau Meier-Greulich geht rüber zum Steuerpult. Mit ein paar Schaltern und Hebeln löst sie die automatische Mechanik der Kuppel aus: Ein Motor beginnt zu summen. Langsam öffnet sich über den Kindern ein Spalt, durch den man den Himmel sieht. „Oh…!“, seufzt Pia. „So viele Sterne!“ Dann fährt, ebenfalls automatisch, das große Fernrohr langsam in Position. Bald ragt es wie eine Kanone in den Nachthimmel. Frau Meier-Greulich hat es genau auf den größten Planeten unseres Sonnensystems gerichtet, den Jupiter! Attila darf als Erster einen Blick durchs Okular werfen. Okular heißt das Ding, wo man rein schaut, das weiß Attila schon. Wie das Ding auf der anderen Seite heißt, hat er vergessen. Allerdings ist er von dem, was er durchs Okular sieht, nicht sonderlich beeindruckt: „Ist das schon alles?“, mault er. „Ich dachte, dieser Jupi… Jippi… dieser Dingens sei so ein Riesenplanet!“ „Der Jupiter ist sehr weit weg“, erklärt ihm Frau Meier-Greulich. „Er ist viel, viel größer als die Erde! Aber er ist eben so unglaublich weit von uns entfernt, dass man ihn im Fernrohr höchstens so groß wie eine Apfelsine sieht. Und das ist schon ziemlich gut!“ Jetzt ist Gustav dran. Er versteht nicht, wieso Attila nicht begeistert ist: Man kann sogar den roten Fleck auf dem Jupiter erkennen, der ein riesiger Wirbelsturm sein soll. „Irre! Ich seh sogar ein paar Jupitermonde!“, staunt er. Weil sich Cosimo und Paul, die weit hinten in der Warteschlange stehen, langweilen, spielen sie Flippen mit Cent-Münzen. Als Cosimo eine Münze hinter das Fernrohr rollt, muss er darunter kriechen und stößt dabei aus Versehen mit dem Kopf gegen die Steuervorrichtung und löst sie aus. Mit leisem, elektrischen Summen dreht sich das Fernrohr etwas zur Seite, bis es wieder still steht. Frau Meier-Greulich schimpft, weil sie jetzt den Jupiter erst wieder neu suchen muss. Da wird Gustav plötzlich ganz aufgeregt: „Ein Stern! Ein Stern! Er wird größer!… Er bewegt sich!… Er kommt direkt auf uns zu!“, schreit er. Frau Meier-Greulich wird neugierig und sieht selbst durchs Okular. Tatsächlich! Ein glühender Brocken rast durchs Weltall! Glühen tut er, weil er bereits die Luftschicht der Erde erreicht hat und durch die Reibung Hitze entsteht. „Nur die Ruhe!“, sagt die Lehrerin. „Das ist nur ein Meteor, der wahrscheinlich hier ganz in der Nähe einschlagen wird. Sowas kommt immer mal wieder vor!“ Die Kinder sind ans Fenster gerannt, um den Meteor zu sehen. „Da!“, schreit Paula, „ich seh ihn!“ Alle Augen folgen einem flammenden Stern, der wie ein rascher Bleistiftstrich über den Himmel zieht und dann ganz in der Nähe, am Fuße der Hügel am Stadtrand, verschwindet. Die Erde bebt ganz leicht, als er einschlägt. Sekunden später hören sie das dumpfe Geräusch des Aufpralls. „Ausgezeichnet! Diese Astronomiestunde verspricht, noch aufregender zu werden, als geplant!“, ruft Frau Meier-Greulich. „Wisst ihr was? Wir gehen auf die Jagd nach dem Meteor!“ Die Kinder sind nicht zu halten. In größter Eile rennen alle über die Wiesen hinter der Schule. Dort hin, wo der Meteor verschwunden ist. Sie wissen nicht, dass auch Herr Göppinger, der Hausmeister, ins Freie getreten ist. „Die suchen wohl den Meteor!“, denkt er. „Da muss ich unbedingt hinterher!“ Gustav hat den Meteor bereits entdeckt: Hinter ein paar Eichen, in einem frischen Krater, liegt ein dampfender Stein! Ein geheimnisvolles Leuchten geht von ihm aus. Leise knistert der Brocken, als er abkühlt. Der milde Nachtwind weht grüne Dunstwölkchen über die Wiese. Frau Meier-Greulich hält die Kinder zurück. „Haltet Abstand, Kinder! Das Ding sieht mir ganz nach einem Supermeteor aus!“ „Ein Supermeteor?“, fragt Paula. „Was ist ein Supermeteor?“ Frau Meier-Greulich nähert sich vorsichtig dem dampfenden Brocken. „Ein Supermeteor kann dich in einen Supermenschen verwandeln“, erklärt sie. „Die meisten Superhelden sind zu Superhelden geworden, nachdem sie Kontakt mit einem Supermeteor hatten!“ Gustav runzelt die Stirn. Er hat schon viele Comics über Superhelden mit Superkräften gelesen. Aber das seien doch alles nur erfundene Geschichten, sagt er. „So? Dann pass mal auf!“, sagt Frau Meier-Greulich und berührt den Kometen mit dem Zeigefinger. Es tut einen lauten Knall und ein greller Blitz blendet die Kinder. Als sie langsam wieder klar sehen können, hat sich ihre Lehrerin verwandelt: Sie trägt jetzt einen hautengen, knallgelben Anzug mit farblich dazu passendem Umhang und einem schicken Gürtel um die Taille! „Genau, wie ich dachte!“, sagt Frau Meier-Greulich und sieht zufrieden an sich runter. „Ich bin superheldifiziert! Das ist eigentlich gar nichts besonderes, verglichen mit den Wundern, die das Weltall sonst noch zu bieten hat!“ „Uiiih!“, keuchen die Kinder begeistert. „Wir wollen auch superhelifi… superfidi…“ „Superheldifiziert werden?“, fragt Frau Meier-Greulich. „Jaaaaa!“, brüllen die Kinder. „Dann mal los!“, grinst die Lehrerin, wirft lässig ihren Umhang zurück und tritt zur Seite, damit die Kinder sich auf den Meteor stürzen können. Es knallt, knattert und blitzt, wie bei einem Feuerwerk. Dann haben sich alle verwandelt: Die Mädchen tragen schicke Overalls mit modischen Umhängen, die Jungs schnittige Actionanzüge mit Taschen überall. Und coolen Augenmasken, wie sie „Spinnenmann“, „Das Phantom“ oder „Der Bestrafer“ haben! „Na, Superklasse? Wie wärs mit einem Ausflug zu den Sternen?“, fragt die Lehrerin.               Wie es weitergeht, erfährst Du in dem Gustavbuch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“.

Der Dschinn

Donnerstag, 01. Juli 2010

Hier könnt Ihr den Anfang von „Gustav und der Dschin“ lesen. Die ganze Geschichte findet Ihr in dem Buch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“.

 

Jeden Morgen, wenn keine Ferien sind, macht sich Gustav zu Fuß auf den Weg in die Schule. Gustavs Eltern finden nämlich, dass Kinder viel Bewegung an der frischen Luft brauchen. Laufen sei für Kinder viel besser, als mit dem Auto gefahren zu werden, sagen die Eltern.
Gustav hat da auch gar nichts dagegen, denn unterwegs kann man Sachen entdecken, die man im Auto nie entdeckt hätte. So, wie heute. Heute stehen alte Fahrräder, Töpfe, Ofenrohre, eiserne Bettgestelle und noch vieles andere an der Straße.
„Juhu, Altmetallsammlung!“, freut sich Gustav. „Vielleicht finde ich etwas Brauchbares! Ein altes Schwert von einem Ritter, zum Beispiel! Oder ein Go-Kart, das nur ganz wenig kaputt ist und das der Papa wieder reparieren kann!“
Gustav passt gut auf, damit ihm keiner dieser Schätze entgeht.
Der rostige Raketenroboter vor der Villa des unheimlichen Professors sieht schon mal recht vielversprechend aus. Praktisch, dass die Fernsteuerung gleich daneben liegt! Gustav drückt ein paar Knöpfe, aber nichts regt sich. Schade, denkt er. Raketenroboter kann der Papa bestimmt nicht so gut reparieren, wie Go-Karts.
Etwas weiter stehen ein paar verschnörkelte Karaffen, die irgendwie orientalisch aussehen. Solche Behältnisse hat Gustav schon einmal in einem Buch mit Geschichten aus Tausend und einer Nacht gesehen.
„In alten Karaffen sind oft Flaschengeister drin“, weiß Gustav. In dem Buch hat er auch gelesen, wie man Flaschengeister aus ihrer Flasche holt: Man muss die Flasche gründlich mit dem Ärmel polieren! Und ein bisschen Schütteln schadet bestimmt auch nicht, denkt Gustav. Für den Fall, dass der Flaschengeist einen besonders tiefen Schlaf hat!
Aber als sich auch bei der fünften Karaffe trotz heftigen Rubbelns und Schüttelns kein Flaschengeist zeigt, verliert Gustav die Lust. So richtig an Geister glauben tut er ja sowieso nicht.
Gustav biegt in das Sträßchen ein, wo das windschiefe Haus mit dem verwildertem Garten liegt. Die Besitzerin, eine alte Dame, winkt Gustav manchmal vom Fenster aus zu. Vor dem rostigen Gartentörchen, das nur noch an einer Angel hängt, steht… Schon wieder eine Karaffe! Diese hier ist sogar vergoldet und glitzert verlockend in der Sonne. Als warte sie nur darauf, dass jemand an ihr reibt.
„Heute muss Karaffentag sein!“, denkt sich Gustav und muss grinsen. Dann entdeckt er das winzige Schild am Hals der Karaffe. In schnörkeliger Schrift steht da geschrieben: „DER DSCHINN IST DRIN“.

„Dschinn?“, überlegt Gustav und kratzt sich am Kopf. „Dschinn ist doch ein anderes Wort für Flaschengeist! Sollte in diesem Ding tatsächlich…?“
Na gut, einen Versuch noch! Gustav rubbelt und rüttelt die Karaffe. Und, ehe er sich versieht, macht es „Puff!“. Dichter Rauch quillt aus der Öffnung, Gustav muss husten. Als der Rauch sich verzieht, steht da ein kleines Männlein mit einem Turban auf dem Kopf und einer Zigarre im Mund. Gustav hustet noch einmal.
„Oh, tut mir leid, Meister!“, sagt das Männchen, wirft die Zigarre zu Boden und tritt sie mit seinem silbernen Pantoffel aus. „Du bist wohl Nichtraucher?“
Gustav steht einfach nur stumm da und staunt.
„Na los, fang schon an!“, sagt der Dschinn.
„Womit?“ fragt Gustav verwirrt.
„Na, mit dem Wünschen! Weiß doch jedes Kind, dass ein Flaschengeist, den man aus seiner Flasche holt, einem drei Wünsche gewährt!“
„Oh, ja, natürlich!“, stammelt Gustav.
„Dann leg endlich los!“, sagt der Dschinn und dreht ungeduldig Däumchen.
Gustav überlegt. Was soll er sich nur zuerst wünschen? Ah, ja! Genau!
„Einen Riesenhaufen Geld!“, ruft Gustav. Geld kann nie schaden! Auch wenn Mama und Papa behaupten, dass Geld allein nicht glücklich mache. Aber Glück kann er sich ja dann als nächstes wünschen, denkt Gustav.
„Einen Riesenhaufen Geld, so sei es!“, sagt der Dschin und schippst lässig mit dem Finger. Wieder macht es „Puff!“. Wieder raucht es. Gustav muss wieder husten, doch das stört ihn nicht. Schließlich ist er jetzt reich, oder?
Von wegen, Fehlanzeige! Kein Riesenhaufen Geld weit und breit! Dafür ist Gustav ein dicker Schnauzbart gewachsen, der ihn an der Nase kitzelt.
„Bist du bekloppt?“, schimpft Gustav. „Ich wollte einen Riesenhaufen Geld und keinen Schnauzbart!“
„Steht dir aber ausgezeichnet, Meister!“, sagt der Dschinn treuherzig.
„Ausgezeichnet?“, tobt Gustav. „Damit sehe ich bestimmt aus, wie der Papa von Attila aus meiner Klasse!“
„Bleib cool, Meister!“, sagt der Dschinn. „Wenn dir der Schnauzbart nicht gefällt, dann wünsch ihn dir einfach wieder weg! Du hast doch noch zwei Wünsche!“
Gustav kann es nicht fassen. „Aber“, stottert er, „wenn ich den zweiten Wunsch verbrauche, um den ersten Wunsch rückgängig zu machen, dann bleibt danach ja nur noch ein Wunsch übrig!“
„Ein Wunsch, ist doch super!“, sagt der Dschinn und zuckt die Achseln.
Gustav ärgert sich, kann aber nichts machen. „Also gut!“, grummelt er, „Ich wünsche mir, dass der blöde Schnauzbart wieder verschwindet!“
„Es sei!“, sagt der Dschinn und schnippst mit dem Finger.
Puff! Rauchwolke. Husten. Gustav fasst sich unter die Nase. Oh nein, der Bart ist noch dran! Dafür fühlt es sich jetzt weiter unten irgendwie komisch an. Als er an sich runter schaut, trifft ihn fast der Schlag: Dort, wo gerade eben noch zwei Beine waren, hat er nun sechs! Sechs Beine!
„Bist du bescheut, Dschinn?“, tobt Gustav. „Ich seh aus, wie… wie…“
„Wie der Papa von Attila?“, fragt der Dschinn interessiert.
„Nein! Ich seh aus, wie… wie… ich weiß auch nicht!“, jammert Gustav.
„Tut mir leid“, sagt der Dschin, kann sich aber ein Grinsen nicht verkneifen, weil Gustav wirklich sehr komisch aussieht. „Sowas passiert mir ständig. Ulkig, was?“
Gustav findet das überhaupt nicht witzig. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als seinen letzten Wunsch zu opfern, nur um wieder normal auszusehen. Das mit den drei Wünschen hatte er sich anders vorgestellt.
„Und mach diesmal ja alles richtig!“, droht er.
„Alle klar, Chef!“, sagt der Dschinn und schnippst erneut. Aber als sich der Rauch verzieht, sind der Schnauzbart und die sechs Beine immer noch dran. Dafür wachsen Gustav jetzt Blümchen aus den Ohren.
„Immerhin, es sind, äh, sehr hübsche Blümchen!“, bemerkt der Dschinn. „Übrigens war das dein dritter und letzter Wunsch, Meister! Schönen Tag noch, wünsch ich!“ Und mit einem „PUFF!“ verzieht sich der Dschinn in seine Karaffe.
„He, du kannst doch jetzt nicht einfach so abhauen!“, brüllt Gustav.
„Kann ich wohl!“, tönt es dumpf aus der Karaffe. „Drei Wünsche, mehr ist nicht drin!“
Wie die Geschichte weitergeht, erfahrt Ihr im dritten Gustavbuch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“.

Der Pferdehof

Dienstag, 01. Juni 2010

Hier könnt Ihr den Anfang der Gustavgeschichte „Gustav und der Ponyhof“ lesen. Die ganze Geschichte mit vielen Bildern und die drei Geschichten „Der eiserne Gustav“, „Gustav und der Dschin“ und „Gustav und der Supermeteor“ findet Ihr in dem Buch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“.

 

„Morgen fällt der Unterricht aus, Kinder!“, verkündet Frau Meier-Greulich.

„Ooooch!“, machen die Kinder enttäuscht. Denn es gibt nichts Schöneres, als Unterricht bei Frau Meier-Greulich.

„Dafür machen wir einen Schulausflug!“ ruft die Lehrerin.

„Juhuuuuu!“, brüllen die Kinder begeistert. Denn wenn es überhaupt etwas Schöneres als Unterricht bei Frau Meier-Greulich gibt, dann ist das natürlich ein Schulausflug mit Frau Meier-Greulich.

„Nachts kann Gustav kaum einschlafen, weil er sich so auf den Ausflug freut. Am nächsten Morgen muss ihn seine Mutter gar nicht wecken, denn er ist bestimmt schon seit Stunden wach. So aufgeregt ist er!

Der Schulbus steht abfahrtbereit vor der Pforte, als Gustav bei der Schule ankommt. Frau Zwiebelmann, die Busfahrerin, lehnt lässig an ihrem Fahrzeug und liest ihre Busfahrerzeitung.

Auch die anderen Kinder aus Gustavs Klasse sind heute ganz früh dran. Zuletzt kommt Frau Meier-Greulich. Gustav staunt, denn in Reithosen und Stiefeln hat er seine Lehrerin noch nie gesehen! Aber dann muss er grinsen, denn ihm fällt wieder ein, wieso Frau Meier-Greulich heute so angezogen ist: Na klar, Ziel des Schulausflugs ist doch ein Pferdehof! Ein Pferdehof im kleinen Dörfchen Rossdorf.

Die Busfahrt vergeht wie im Flug. Frau Zwiebelmann singt wie immer  lautstark in ihr Busfahrermikrofon. Im Busfahrergesetz steht zwar, dass Busfahrer während der Fahrt nicht mit den Fahrgästen reden dürfen, aber „von Singen steht da nichts geschrieben!“, wie Frau Zwiebelmann immer versichert. Natürlich krähen die Kinder aus Leibeskräften mit, denn Frau Zwiebelmanns Lieder sind super! Vor lauter Begeisterung vergisst Cosimo sogar, dass ihm im Bus immer schlecht wird. Und dann ist man auch schon da!

„Wendys Reit- und Rodeoparadies. Pferdepension, Ponystreichelzoo, Saloon,“ steht groß über der Einfahrt zum Hof.

„Alles aussteigen!“, trällert Frau Zwiebelmann, legt die Füße hoch aufs Lenkrad und vertieft sich für die nächsten acht Stunden wieder in ihre Busfahrerzeitung.

Eine dicke Dame in Reitstiefeln begrüßt die Kinder. Sie trägt einen Schlapphut wie ein Cowboy und hat einen breiten Gürtel um die Hüften geschlungen, an dem ein echtes Lasso baumelt. Gustav hat sofort Respekt vor ihr.

„Ich bin Frau Wendy, aber ihr könnt Wendy zu mir sagen“, stellt sich Frau Wendy, die dicke Pferdetrainerin, den Kindern vor. „Wer von euch hat schon mal auf einem richtigen Pferd gesessen?“

Die Mädchen strecken alle, denn Mädchen finden Pferde und alles, was mit Pferden zu tun hat, gut. Darum haben sie auch alle ihre Eltern so lange genervt, bis diese sie für teure Reitstunden angemeldet haben. Von den Jungs streckt keiner.

„Das wundert mich nicht!“, sagt Frau Wendy und steckt sich lässig einen Grashalm in den Mund, um darauf herum zu kauen. „Dann dürfen die Mädchen schon mal mit ihrer Lehrerin auf feurigen Rössern über die Heide donnern, während ich den jungen Herren eine erste Reitstunde verpasse! Das heißt…“, Frau Wendy beugt sich zu den Jungs runter und lächelt, „…falls die jungen Herren den richtigen Mumm dazu habt! Oder wollt ihr vielleicht den ganzen Tag drüben im Spielzimmer verbringen?“

Den Jungs ist etwas mulmig zumute. Aber weil sie nicht feige sein wollen, entscheiden sich natürlich alle für die Reitstunde. Obwohl Gustav doch ganz gern mal nachgesehen hätte, was das Spielzimmer so alles zu bieten hat.

Während Frau Wendy die Jungs zum Stall führt, wo die Ponys für die Anfänger stehen, nehmen sich die Mädchen die richtigen Reitpferde. Frau Meier-Greulich springt gleich beim größten und wildesten Pferd in der Sattel, denn als Lehrerin besitzt sie natürlich den internationalen Reitschein für Pferde aller Gewichtsklassen. „Yipieh-yeah!“, rufen die Mädchen und preschen über den Hof, dass es nur so staubt.

Die Jungs dagegen müssen mit lächerlichen Holzleitern auf ihre Ponys hoch klettern und versuchen, sich da oben irgendwie festzuhalten. Zum Glück sehen die Mädchen gerade nicht zu! Die Ponys fangen dann an, mit den Jungs immer im Kreis zu laufen, eins hinter dem anderen. Gustav hat Mühe, nicht runter zu fallen, weil sein Pony so wackelt. Die Mädchen, die total gut reiten können, grinsen überlegen rüber zu den Jungs, weil die auf ihren Anfängersätteln wirklich total idiotisch aussehen.

„He, seht mal, was ich kann!“ Pia galoppiert über den Hof und macht Saltos auf dem Pferderücken. Sowas lernt man ja bekanntlich im Mädchenreitkurs schon in der dritten Stunde. Paula und Romy balancieren auf einem Bein auf ihren Tieren, während die über Hürden springen. Die Jungs staunen und sind ganz neidisch, wollen das aber natürlich nicht zugeben, weil die Mädchen sich sonst noch was drauf einbilden.

Da passiert es: Attila vergisst vor lauter Staunen, sich richtig festzuhalten. Wie ein Mehlsack kippt er aus dem Sattel. Von dem kleinen Pony fällt er nicht besonders tief, aber weil sich ein Fuss im Steigbügel verfängt, schleift ihn das Pony einfach hinter sich her. „Aua!“, sagt Attila jedesmal, wenn er über eine Unebenheit im Boden gezogen wird.

Und der Hof ist hier ganz schön uneben: „Aua, aua, aua!“

„Immer dasselbe“, seufzt Frau Wendy, rollt mit den Augen und hält Attilas Pony an, damit der seinen Fuss aus dem Steigbügel ziehen kann.

„Da hast du  mächtig Glück gehabt, Cowboy, dass dir sonst nichts passiert ist!“, sagt sie zu Attila, der sich mühsam aufrappelt.

„G…Glück?“, fragt Attila unsicher.

„Allerdings!“, sagt Frau Wendy und lässt ihren Grashalm von einem Mundwinkel zum anderen wandern.

„Ich kannte mal einen, den schleifte sein Gaul 100 Meilen durch die Prärie, wo der Boden voller spitzer Felsen und Dornen war. 100 Meilen, kannst du dir das vorstellen?“

Attila versucht, sich das vorzustellen und schluckt.

Frau Wendy spuckt den Grashalm aus und senkt ihre Stimme. „100 Meilen über einen Boden rauh wie Schmirgelpapier! Danach war von dem Burschen nur noch ein Stiefel übrig!“

Attila befühlt sein Hinterteil, wo in der Hose ein großes Loch gähnt, durch das man seine Unterhose mit den Raumschiffen drauf sehen kann. Hastig sagt er, er habe ganz dringend etwas im Spielzimmer zu erledigen und humpelt davon.

„Glückspilz!“, sagt Frau Wendy und steckt sich einen neuen Grashalm zwischen die Zähne. Dann dreht sie sich zu den restlichen Jungs um.

„Na, und ihr? Habt ihr alle Spaß am Reiten?“

Die Jungs ziehen ein wenig die Köpfe ein, murmeln ein undeuliches „Ja“ und traben brav weiter im Kreis.

Frau Wendy klopft sich zufrieden mit dem Lasso an die Hosennaht. „Ja, ja, das Glück der Erde findet man nur auf dem Rücken der Pferde. Das wusste schon der alte Konfuzius!“

 

Wie die Geschichte weitergeht, könnt Ihr im Gustavbuch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“ erfahren.

 

Der eiserne Gustav

Donnerstag, 06. Mai 2010

 

 

 

Hier könnt Ihr den Anfang der Gustavgeschichte „Der eiserne Gustav“ lesen. Die ganze Geschichte mit vielen Bildern und die drei Geschichten „Gustav und der Ponyhof“, „Gustav und der Dschin“ und „Gustav und der Supermeteor“ findet Ihr in dem Buch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“.

 

Große Pause! Gustav und alle anderen Kinder der Klasse spielen im Schulhof Fille-Fange. Fille-Fange ist gerade ihr Lieblingsspiel und geht so: Alle hüpfen wie die Bekloppten auf einem Bein herum, brüllen dabei andauernd „Fille-Fange!“ und versuchen, sich gegenseitig anzuboxen und umzustoßen. Wer zuletzt noch nicht am Boden liegt, hat gewonnen! Super!

Das Spiel hat sich die Pia ausgedacht. Eigentlich sind Kinder ja  nicht klug genug, sich so verzwickte Spielregeln auszudenken. Aber bei Pia ist das was anderes, denn sie ist total begabt für ihr Alter. Wenigstens sagen das Pias Eltern immer.

Mitten im wildesten Fille-Fange-Gerangel taucht plötzlich Theo mit seiner Kiste auf. Paula entdeckt ihn als erste. „Die Kiste! Die Kiste!!“, schreit sie.

Sofort bleiben alle wie angewurzelt stehen und starren Theo mit der Kiste an. Alle, bis auf Gustav. Der schafft es nicht, auf einem Bein stehen zu bleiben und kippt um. Rumms!

„Hi-hi!“, macht Rainer-Werner.

„Aua!“, sagt Gustav.

Dann geht die Balgerei um die Kiste los! Man schiebt und schubst, drängelt und drückt, ringt und rangelt, quetscht und fletscht, zwickt und zwackt!

Denn in Theos Kiste sind die herrlichsten Schätze drin, die man sich vorstellen kann: süße Schokoschnecken, sahnige Sabberlutscher, saure Schlürfschlotzer und zuckrige Zimtzicken!

Frau Meier-Greulich, Gustavs Klassenlehrerin, hat heute die Pausenaufsicht.

„Wo hat dieser Theo nur immer den ganzen Süßkram her?“, wundert sie sich. „Seit einer Woche geht das nun in jeder Großen Pause so!“

Frau Meier-Greulich atmet tief ein. „Es wird Zeit, dass ich mich da mal einmische!“, beschließt sie. „Kinder sollten nicht immer so viel Süßes essen!“

Aber die Kinder haben Theos Kiste längst leer gefuttert. Jetzt sind alle von der Extraportion Zucker so aufgekratzt, dass sie doppelt so wild Fille-Fange spielen. Es wird geboxt und geschubst, dass es nur so raucht! Nicht einmal ein heftiger Regenschauer kann die Kinder aufhalten. Sie hüpfen in den Pfützen herum und haben gleich nochmal so viel Spaß.

Die Große Pause geht zu Ende. Herr Göppinger, der Hausmeister, öffnet ein Fenster und greift nach seiner Pausenposaune. Gleich wird er das Signal zum Reingehen geben! Herr Göppinger holt so tief Luft, dass ihm fast die Knöpfe von seinem karierten Hausmeisterhemd platzen, schmiegt die Lippen ans Mundstück der Pausenposaune und pustet los.

„Pooooooooooth!“ dröhnt es über den Schulhof. Die kleinen Maulwürfe auf der Wiese, die den Kindern immer beim Fille-Fange zusehen, ziehen die Köpfe ein.

„Poooooooooooooooooooooooooooth!“

Das Eichhörnchen, das in der alten Kastanie am Schultor wohnt, hüpft in großen Sprüngen davon.

„Poooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooth!“

Die Fensterscheiben fangen an zu wackeln und die Kinder halten sich die Ohren zu. Nur Frau Meier-Greulich steht seelenruhig da. Ihr macht Herr Göppingers Getröte nichts aus, denn sie beherrscht die alte, japanische Kunst des Ohren-Verschließens durch Gedankenkraft.

Dann ist Herr Göppinger fertig. Er verbeugt sich kurz und schließt das Fenster. Alles dackelt nach drinnen und der Schulhof ist leer. Die Maulwürfe strecken vorsichtig die Köpfe raus und das Eichhörnchen erscheint wieder auf der Mauer. Endlich Ruhe!

Im Klassenzimmer quietscht es vernehmlich, als sich die Kinder hinsetzen.

Frau Meier-Greulich wundert sich. „Das ist ja seltsam! Solche Geräusche macht ihr doch sonst nicht!“, sagt sie. „Das muss ich näher untersuchen! Gustav, nimm doch bitte mal die Arme nach oben!“

Gustav hebt artig beide Arme, was ihm seltsamerweise Mühe bereitet. So, als ob seine Arme Widerstand leisten würden. Dabei quietscht es laut und deutlich.

Frau Meier Greulich legt den Kopf schief. „Danke, du kannst die Arme wieder runter nehmen, Gustav!“

Das ist leichter gesagt, als getan! Mit Mühe gelingt es Gustav, die Ellbogen anzuwinkeln. Und wieder quietscht es dabei!

Frau Meier-Greulich wendet sich an die Klasse. „Kinder, könnt ihr euch denken, was da los ist?“

Die Kinder schütteln die Köpfe. Dabei quietscht es so laut, dass Frau Meier-Greulich die Ohren weh tun, denn vor lauter Staunen hat sie vergessen, die alte japanische Kunst des Ohren-Verschließens durch Gedankenkraft anzuwenden.

„Kinder, ihr quietscht ja bei der kleinsten Bewegung! Merkt ihr das auch?“

„Quietsch!“, rufen die Kinder und nicken.

Die Lehrerin zieht die Stirn in Falten. „Hmmm. Könnte es sein, dass…?“

Dann schnippt sie mit dem Finger und lacht, denn sie ahnt etwas.

„Rost!“, ruft sie. „Das ist es! Ihr Kinder rostet!“

„Wir rosten?“, rufen die Kinder und quietschen dabei wie alte Türscharniere.

„Ganz klar!“, sagt Frau Meier-Greulich, „Ihr habt zu viel Eisen gegessen! Eisen ist ja bekanntlich im Essen drin. Nur habt ihr irgendwie viel zuviel Eisen abgekriegt! Und weil euch der Regen nass gemacht hat, rostet ihr nun! Rostet, wie alte Blechdosen, haha!“

„Das gibt’s… (quietsch!)… doch nicht!“, quietscht Gustav.

„Soll ich‘s dir beweisen?“, lacht Frau Meier-Greulich. Sie nimmt einen der Magneten, mit denen man Bilder an die Tafel heften kann und klatscht ihn Gustav auf die Stirn. Der Magnet haftet bombenfest. Gustav ist baff.

„Na, glaubst du mir jetzt?“, fragt Frau Meier-Greulich. „Der Magnetkraft nach zu urteilen, bestehst du bereits zur Hälfte aus Eisen!“

„Aber…?“ quietsch Gustav aufgeregt, „wo (quietsch!) haben wir denn (quietsch!) zu viel Eisen gegessen?“

„Ich habe bereits einen Verdacht!“, sagt Frau Meier-Greulich und zieht Gustav den Magneten mit einem lauten Plopp von der Stirn. Dann dreht sie sich zu Theo um und schaut ihm tief in die Augen.

„Wo hast du eigentlich immer den ganzen Süßkram her, Theo?“

Theo wird rostrot im Gesicht und fängt an zu stottern. „D-d-die Süßigkeiten? Die (quietsch) schenkt mir immer (quietsch) der nette Herr Schimmelpfennig!“

Die Lehrerin schaut Theo noch tiefer in die Augen.

„Etwa der Herr Schimmelpfennig, dem die Schimmelpfennig-Rostschutzmittel-Fabrik“ gehört?“

„Ge… (quietsch) …nau der!“, quietscht Theo.

„Der Fall ist gelöst!“, ruft Frau Meier-Greulich und haut dabei so auf den Tisch, dass alle vor Schreck hoch fahren. Sogar Lutz in der letzten Reihe, der wie gewöhnlich ein Nickerchen macht, wacht auf.

„Kinder? Dieser Herr Schimmelpfennig schenkt euch Süßigkeiten mit zu viel Eisen drin, damit ihr anfangt, zu rosten!“

„Aber (quietsch) wieso denn?“ quietschen die Kinder.

„Das müssen wir raus kriegen“, sagt Frau Meier-Greulich: „Ich finde, wir sollten dem Burschen mal auf die Finger klopfen! Was meint ihr, Kinder?“

Doch die Kinder meinen gar nichts mehr. Nicht das leiseste Quietschen ist zu hören. Denn sie sind plötzlich alle eingerostet! Wie Roboter, bei denen die Batterie leer ist, sitzen sie reglos in ihren Bänken. Nur ganz leise hört man etwas Rost zu Boden rieseln.

 

 

 

 

 

 

 

Wie diese Geschichte weitergeht, erfahrt ihr in dem Gustavbuch „…nur dem Gustav haben sie Zuhause wieder kein Wort geglaubt“.